Aus Heroldsberg bei Waischenfeld in der Fränkischen Schweiz
Johann Valentin Knoerl, der bis zu seinem Eintritt bei den Mariannhiller Missionaren auf den zweiten Taufnamen hörte und Kilian erst bei der Einkleidung erhielt, erblickte am 19. Februar 1930 in Heroldsberg, Pfarrei Waischenfeld/Oberfranken, Erzbistum Bamberg, das Licht der Welt – als letztes von vier Kindern. Seine Eltern, Johann Knoerl und Elisabeth, geborene Schnörer, waren tüchtige Bauersleute in Hausnummer 4/5, beide streng katholisch, beide im guten Sinn fromm und gottesfürchtig.
Valentins Hebamme war Frau Herzing, sein Taufpate Onkel Johann Knoerl aus Hubanberg; die Taufe spendete Pfarrer Schütz am 20. Februar 1930 in der Pfarrkirche zu Waischenfeld. Heroldsberg ist ein kleiner Ort oberhalb der Burg von Waischenfeld, nur zwanzig Gehminuten entfernt.
Das Pfarrdorf ist herrlich gelegen, ein altes Städtchen im Tal der Wiesent. Ausgrabungen und Funde verweisen auf frühe Besiedlung zur Steinzeit; auch benachbarte Felsenhöhlen lassen Rückschlüsse auf Behausung in der Vorzeit zu.
Um das Jahr 1000 wurde eine erste Burg am Kirchhang errichtet, hoch über dem Flusstal, Richtung Heroldsberg. Die heutige Burg von Waischenfeld stammt aus dem 12. Jahrhundert. Sie war bis ins 19. Jahrhundert Sommersitz der Erzbischöfe von Bamberg. Dann verfielen die Gemäuer allmählich. Erst nach dem zweiten Weltkrieg wurde sie restauriert. Heute befindet sich ein Heimatmuseum in ihren alten Mauern; im Burghof werden zuweilen Bühnenstücke aufgeführt; eine Freilichtbühne mit herrlicher Kulisse. Ein Gasthof mit Biergarten bietet Touristen und Einheimischen Rast und Labsal.
Gleich neben der Burg, oben auf der Höhe, liegt der Friedhof, sauber und übersichtlich angelegt. Hier befindet sich auch das Familiengrab der Knoerls aus Heroldsberg; eine kleine Gedenktafel erinnert an Bruder Kilian und seine Schwester Ulrike. Die Pfarrkirche, am Hang unterhalb der Burg, aber hoch über Waischenfeld, wurde im 14. und 16. Jahrhundert errichtet und Ende des 20. Jahrhunderts stilvoll renoviert. Mehrere Madonnen zieren das Innere. Der Platz vor dem Haupteingang lädt geradezu zum Verweilen ein; von hier aus hat man eine schöne Sicht über das schmucke Städtchen in der fränkischen Schweiz. Hierher war der kleine Valentin schier täglich zur heiligen Messe gekommen – und von da zur Volksschule gegangen.
Später hat Valentin seine Eltern und Geschwister zur Wallfahrt nach Gössweinstein begleitet, wo seit dem 13. Jahrhundert fromme Pilger Andacht und Erhörung in ihren Anliegen suchen. Konrad I. von Schlüsselberg hat um 1240 die erste Kirche errichten lassen. 1511 erwirkte Georg von Königsfeld von Papst Julius II. einen besonderen Ablass, womit Gössweinstein extra gefördert wurde.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts soll es, laut Lexikon, „der bedeutendste Dreifaltigkeits-Wallfahrtsort Deutschlands" gewesen sein. Berühmt ist das Gössweinsteiner Pilgerlied, das der Franziskanerpater Eulogius Schneider im 18. Jahrhundert verfasst hat:
„Sei gelobt und hochgepriesen, heiligste Dreifaltigkeit! Sieh, wir wallen Dir zu Füßen in dem Geist der Bitterkeit. Aus der Tiefe zu Dir rufen wir bedrängte Kinder Dein: Wolle unser Vater sein!" (1. Strophe)
Kein Geringerer als Balthasar Neumann hatte die Leitung der Neugestaltung und Barockisierung der Kirche, womit 1730 begonnen wurde.
Hier also, in der Basilika von Gössweinstein, liegen die frühen Wurzeln echter volkstümlicher Frömmigkeit, die Bruder Kilian sein Leben lang beeinflussten. Hier und im nördlich von Waischenfeld gelegenen Hollfeld, wo – laut Legende – schon im Jahr 1300 seltsame „Dinge" geschahen: Ein Mann hatte sich unter einer Eiche ausgeruht. Da hörte er die Musik vom Kirchweihfest in Hollfeld. Tränen der Freude kullerten über seine Wangen. Plötzlich stand ein Mann mit einem Kreuz auf den Schultern vor ihm. Es war der dornengekrönte Jesus. Er sagte: „Du klagst und stöhnst über dein Kreuz? Sieh, ich trage deinetwegen ein schwereres! Ich rate dir: Trag dein Kreuz in Geduld, denn ich rufe dich bald zu mir."
Der Mann erschrak zu Tode, lief nach Hollfeld hinein und erzählte allen von seiner wundersamen Erscheinung. Daraufhin hat man dort ein Gotteshaus errichtet, die Salvator-Wallfahrtskirche.
Diese Legende war Valentin und seinen Geschwistern von jung auf geläufig. Sie erbauten sich an der frommen Erzählung. Was Wunder, dass zwei der vier Knoerl-Kinder ins Kloster gingen? Neben Bruder Kilian auch seine Schwester Ulrike Stilla, die sich den Mariannhiller Missionsschwestern vom Kostbaren Blut in Neuenbeken anschloss und ihren Bruder um acht Jahre überlebt hat.
Passionierter Landwirt und Viehdoktor
Was den 17-jährigen Bauernbuben bewogen hat, ins Kloster zu gehen, beziehungsweise sich einer modernen Missionsgemeinschaft anzuschließen, wissen wir nicht. Wahrscheinlich stand der Missionsgedanke im Vordergrund, denn aus späteren Äußerungen geht hervor, dass es schon immer sein Wunsch gewesen sei, einmal in Afrika wirken zu dürfen. Vor seiner Ausreise sagte er einmal: „Lange musste ich warten, bis meine Sehnsucht nach dem Missionsland Afrika gestillt wurde."
Zu den Mariannhiller Missionaren kam er am 27. Oktober 1947: Eintritt im Missionshaus Reimlingen bei Nördlingen. Schon ein paar Monate später, nämlich am dritten April 1948, wurde er eingekleidet, das heißt, er begann das zweijährige Noviziat. Die (zeitlichen) Gelübde legte er am 1. Mai 1950, die ewige Profess am 1. Mai 1953 ab, ebenfalls in Reimlingen. Seit der Einkleidung führte er den Ordensnamen Bruder Kilian.
Bei der Beurteilung seines Charakters – vor der Zulassung zu den Gelübden – wurde er als „religiös, fromm, reinlich, freundlich, gesund, strebsam, verträglich, wissensdurstig, gewissenhaft, vorbildlich und cholerisch" beschrieben. In allem, so hieß es weiter, „ein vorbildlicher Ordensmann"!
Sein Arbeitsbereich im Missionshaus war die Landwirtschaft, die er vom elterlichen Hof in Heroldsberg her bestens kannte. Nur war in Reimlingen alles größer und weiter. Neben dem Ackerbau und allem drum und dran betreute Bruder Kilian auch das Vieh. Man hielt ihn allgemein für den künftigen Schaffner (Leiter der landwirtschaftlichen Betriebe). Die Meisterprüfung, die er in dieser Zeit ablegte, hielt ihn jedoch nicht davon ab, seiner „Sehnsucht" auch weiterhin Flügel zu geben. Schon im handgeschriebenen Lebenslauf hatte er vermerkt, er wolle gleich nach der ewigen Profess in die Mission, „um den armen Heidenkindern den Glauben zu bringen". Im Missionshaus hatte man damit allerdings keine Eile. Bruder Kilian schickte sich in allem so gut, dass man ihn am liebsten für immer dort behalten hätte – eben als Chef der Landwirtschaft.
Auch seinen wiederholt vorgetragenen Wunsch, man möge ihn in der Afrika-Mission mit ähnlichen Aufgaben betrauen, schob man immer wieder auf. Die Rebellionen und Aufstände in zahlreichen afrikanischen Ländern Ende der 50er Jahre dienten zusätzlich als „Abschreckmittel". Mitbrüder, Freunde und Verwandte verwiesen vor allem auf die Unruhen im Kongo (Lumumba!), Kenia (Kenyatta und die Mau Mau-Bewegung!) sowie in Rhodesien (Föderation mit dem heutigen Sambia und Malawi). Aber Bruder Kilian ließ sich davon nicht einschüchtern: „Immer wieder brachte ich meinen Wunsch beim hochwürdigsten Herrn Pater Generalsuperior vor, bis er mich für die Mission freigab."
Dann war es endlich soweit. In seiner Heimatpfarrkirche zu Waischenfeld empfing er 1960 aus den Händen von Pater Andreas Bausenwein, Generalsekretär der Mariannhiller Gemeinschaft, das Missionskreuz. Der Abschied von den Seinen fiel ihm zwar nicht leicht, aber von seinem Vorhaben war er längst nicht mehr abzubringen. „Schlangen, Krokodile, Nilpferde, Elefanten, Löwen und Leoparden sollten mich nicht schrecken", erinnerte er sich später. Das Ziel war abgesteckt, die Reise gebucht. In Venedig bestieg er ein Passagierschiff; dann ging es südwärts: quer übers Mittelmeer, durch den Suezkanal zum Roten Meer und dann die Ostküste Afrikas entlang bis Beira in Mosambik. Von dort per Bahn über Umtali (Mutare) und Salisbury (Harare) nach Bulawayo.
Von Fatima-Mission über Regina Mundi nach Embakwe
Bischof von Bulawayo war damals der Mariannhiller Missionar Adolph Gregor Schmitt, ein Landsmann Bruder Kilians. Nach Absprache mit dem Provinzoberen sandte er den Neuling nach Fatima-Mission im Nordwesten des Bistums, an der sogenannten „Fallsroad" gelegen, etwa halbwegs zwischen Bulawayo und den weltberühmten Victoriafällen. Damals war Fatima-Mission noch Teil der Diözese Bulawayo; später wurde diese Station abgetrennt und dem Bistum Wankie (Hwange) einverleibt. Begründet und aufgebaut wurde Fatima von Mariannhiller Missionaren.
Als eigentlicher Pionier gilt Pater Odilo Weeger; er war im November 1944 von Bischof Ignatius Arnoz zum „Rektor des Shangani-Bezirks" ernannt worden. Drei Jahre lang durchkämmte der aus Mittelfranken stammende Mariannhiller die Region: dann, 1947, war es soweit: Die katholische Kirche bekam ein Stück Land – ein Lehen für 99 Jahre; das war die Geburtsstunde von Fatima-Mission. Sofort machte sich Pater Odilo daran, Außenschulen zu errichten. Auf der Hauptstation behalf man sich zunächst mit einfachen Lehm-Strohhütten, bis Bruder Athanasius Sattich, ein gelernter Maurer, daran gehen konnte, solide Gebäude zu erstellen, darunter auch ein Missionskrankenhaus. Als erste Missionsärztin wirkte Dr. Hanna Davis-Ziegler hier, später gefolgt von Dr. Hanna Decker und Dr. Rothschuh; ihnen zur Seite standen alsbald auch Schwestern vom Missionsärztlichen Institut in Würzburg. Sogar eine Krankenschwestern-Schule kam hinzu. Als Pater Waldemar Regele 1959 Rektor von Fatima-Mission wurde (er blieb es bis 1978), fügte er eine Mittelschule hinzu – mit Schwerpunkten auch in praktischen Fächern wie Viehzucht, Schreinern und Maurerarbeiten. Die Station zählte inzwischen zu den großen missionarischen Zentren des Bistums.
Die Gemeinschaft, die Bruder Kilian 1960 antraf, setzte sich also aus Mariannhiller Patres und Brüdern sowie Krankenschwestern, Ärztinnen und Missionshelfern zusammen – zusätzlich zu den afrikanischen Lehrern/innen und Arbeitern/innen. Auch Ordensfrauen hatten ihre Arbeit aufgenommen: deutsche Dominikanerinnen, die ihrerseits zu den Pionieren der Sambesi-Mission zählen; sie waren schon vor der Jahrhundertwende ins damals noch unerforschte Land „nördlich des Limpopo" gekommen – zusammen mit den ersten Jesuiten.
Zu den ersten und vorläufig wichtigsten Aufgaben Bruder Kilians auf der Fatima-Mission (etwa 210 Kilometer von Bulawayo entfernt) war die Betreuung des rund 100 Stück Vieh umfassenden „Kuhstalls". Darunter stelle man sich allerdings keine europäischen Verhältnisse vor. In Simbabwe weidet das Vieh im Freien, lebt oft monatelang von trockenem Gras, von welken Blättern an Bäumen und Sträuchern oder auch von gelegentlichen Heckenfrüchten. Von echter Milchwirtschaft konnte damals nicht die Rede sein; das Vieh war Schlachtvieh – für den Eigenbedarf auf der Station.
Es waren zwei alte Traktoren vorhanden, auch ein kleiner Lastwagen sowie ein Motorrad, aber die weitverzweigte Station litt damals – wie wohl alle missionarischen Zentren – an Geldmangel. Vieles, was dringend nötig gewesen wäre, konnte aus finanziellen Gründen nicht angeschafft werden. Bruder Kilian musste vieles selber tun – mit einfachsten Mitteln. Hier kam ihm seine solide Ausbildung auf dem elterlichen Hof sowie im Missionshaus Reimlingen zugute. Einen Tierarzt konnte man sich nicht leisten; so war der Bruder auch hier gefragt. Es gab also Arbeit in Hülle und Fülle. Damals schrieb er nach Hause: „Nur schade, dass nicht mehr junge Bauernburschen Liebe und Schneid für das große und aktuelle Werk der Mission in Afrika aufbringen. Die meisten ahnen nicht, dass hier die Zukunft Europas entschieden wird, gar nicht zu reden von der Christenpflicht, den Heiden den wahren Glauben und christliche Kultur zu bringen."
Nach vier, fünf Jahren übernahm Bruder Kilian die Betreuung der Farmwirtschaft in Regina Mundi-Mission am Gwaaifluss, ebenfalls im (Erz)Bistum Bulawayo gelegen. Die einheimische Bevölkerung bewunderte seine Kenntnisse in der Viehzucht und die Erträge seines Gartenbaus. Schon nach kurzer Zeit produzierte er eine Vielfalt von Gemüse, sodass er nicht nur die Station damit versorgen, sondern einen Teil seiner Ernte in Bulawayo auf dem freien Markt anbieten konnte. Das dringend nötige Bargeld steckte er in Neuanschaffungen und Verbesserungen seiner Betriebe.
Regina Mundi wurde seine zweite Heimat. Doch dann erreichte ihn der Ruf des Provinzobern für eine neue, für ihn bislang ungewohnte Aufgabe: Er solle im „House of Formation" auf der großen Embakwe-Mission bei der Ausbildung junger einheimischer Brüderkandidaten mitarbeiten. Es wird ihm nicht leicht gefallen sein, diesem Wunsch seines Provinzials nachzukommen, aber er ging – und fand sich in seiner neuen Umgebung ganz gut zurecht. Doch schon ein Jahr später (1975) bat man ihn, die Missionsfarm im benachbarten Empandeni zu übernehmen. Bruder Kilian sagte zu – und wickelte auch hier sofort die Ärmel hoch.
Ein Geschenk des Amandebele-Königs Lobengula
Über die Anfänge der katholischen Missionsarbeit im heutigen Simbabwe wird an anderer Stelle dieses Bandes ausführlich berichtet. Hier lediglich noch ein paar Details über Empandeni, die älteste katholische Missionsstation des Landes – die Station, wo Bruder Kilian – wir hören gleich mehr darüber – auf grausame Weise ermordet wurde.
Die ersten Jesuitenmissionare waren 1879 nach Gu-Bulawayo gekommen und hatten in der Nähe des Königskrals ein Steinhaus errichtet. König Lobengula erfreute sich guter Nachbarschaft, aber für das Anliegen der Patres hatte er zunächst kein Ohr. Erst 1885 gelang es Pater Peter Prestage, die Erlaubnis zu bekommen, ein „impi" (Regiment) der königlichen Soldaten in der Nähe des Mangwe-Passes zu besuchen; es waren die Amandebele-Krieger des Generals Impande. Lobengula hatte zugestimmt, dass die Missionare sich dort ein großes Stück Land aussuchten, um eventuell eine Schule zu errichten bzw. damit zu beginnen, den Afrikanern die Frohbotschaft zu künden. Lobengula selber witzelte eher über das Vorhaben der Jesuiten: Die Soldaten des Impande und deren Familien seien nicht die willigsten unter seinen Leuten. Aber wenn sie – die Missionare – es unbedingt probieren wollten, bitte!
So kam es, dass Pater Prestage ein weites Gelände in der Nähe des Umsasa-Hügels aussuchte und dort am 18. Juni 1887 den Grundstein der späteren Empandeni-Mission legte.
Um Weihnachten wurde bereits eine Art Grundschule eröffnet – mit den Hauptfächern Religion, Schreinern und Schmieden.
Interessant ist eine Parallele zu den Mönchen von Mariannhill in Südafrika: Zu der Zeit, als Empandeni-Mission gegründet wurde, war Pfanner bereits zwei Jahre Abt. Seine „Schulmethode", neben Religionsunterricht vor allem auch handwerkliches Können zu vermitteln, war von Anfang an von den Jesuiten-Missionaren sehr begrüßt und als nützlich eingestuft worden. Wahrscheinlich war dies auch der Grund, warum sie in Empandeni die Ausbildung in zwei Handwerksberufen von Anfang an mit einschlossen.
Wenngleich mit 53 Schülern begonnen wurde, so kam es doch kaum zu einem regelmäßigen Schulbetrieb. An europäische Verhältnisse war so schnell nicht zu denken. Schuld daran mögen die Eltern gewesen sein, die ihre Kinder nach wie vor zum Hüten der Viehherden aussandten – oder gelegentlich auch die ungünstigen Witterungsverhältnisse. Ende Oktober 1888 war es zudem schon zu Unruhen unter Lobengulas Soldaten gekommen, die solide missionarische Tätigkeiten im Umfeld von Empandeni fast unmöglich machten. Die junge Station musste geschlossen werden; die Missionare verließen Empandeni und kehrten erst 1895 wieder zurück – zum zweiten Anfang, diesmal einige Kilometer vom alten Platz entfernt.
Jetzt, nach dem Zerschlagen des Amandebele-Reiches König Lobengulas durch weiße Siedler und Soldaten – entwickelte sich Empandeni sehr rasch. Auf dem weiten Farmgelände der Mission (zu den rund 66.000 acres, das die Jesuiten von Lobengula erhalten hatten, kamen später weitere durch Ankauf) entstanden mehrere Außenschulen. Auf der Hauptstation wurde eine Steinkirche errichtet, und zu den Patres und Brüdern stießen noch Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Notre-Dame-Schwestern, die später auch Embakwe mitaufbauen halfen, Embakwe, das auf der Großfarm von Empandeni gelegen ist.
Trotz aller Anstrengung, trotz jahrelangen Bemühens gelang es den Jesuiten jedoch nicht, die Herzen der Amandebele für die christliche Lehre zu gewinnen. Zwar ließen sich viele taufen, weil sie sich Vorteile davon versprachen („Reis-Christen" nannte man sie in Asien!), aber zu einer tiefgreifenden Abkehr von ihren „heidnischen Sitten" kam es kaum. Die Polygamie blieb gang und gäbe; Ritualmorde zur Gewinnung von „Geheimmedizinen" fanden weiterhin statt. An einheimische Priester und Ordensleute war vorerst nicht zu denken.
Als 1924 die Hauptstadt des Landes von Bulawayo nach Salisbury verlegt wurde, schienen die (eher britisch ausgerichteten) Jesuiten kein so großes Interesse an Matabeleland mehr zu haben. Den letzten Anstoß gab dann wohl der Wunsch der Mönche von Mariannhill, die seit 1896 in Mashonaland tätig waren (vor allem um Triashill und Monte Cassino), nach einem eigenen, selbstständigen Missionsgebiet: Das wurde ihnen gewährt – allerdings nicht, wie sie erhofft hatten, in Manicaland. Stattdessen verordnete die Kurie in Rom einen Ortswechsel: die Jesuiten verließen Bulawayo, Empandeni, Embakwe (also Matabeleland) und zogen nach Mashonaland; und die Mariannhiller Missionare mussten volens nolens ihr geliebtes Manicaland verlassen und den, wie sie bald feststellten, „viel steinigeren Weinberg" Matabelelands übernehmen – für die Patres und Brüder eine „harte Nuss", an der sie noch nach Jahrzehnten zu knacken schienen.
Der Wechsel vollzog sich zwischen 1929 und 1930. Zu den Mariannhiller „Pionieren" gehörten damals so fähige Männer wie Bruder Ägidius Pfister, Pater Konrad Atzwanger, Pater Peter Ebner, Pater Ignatius Arnoz (der spätere Bischof von Bulawayo), Bruder Mauritius Bürgler, Pater Urban Staudacher, Pater Josef Kammerlechner u. a.
Empandeni blieb vorerst das missionarische Zentrum – neben Bulawayo, damals allerdings noch ein verstaubtes Buschstädtchen.
Zu den Volksschulen auf dem riesigen Farmgelände kamen später weitere Außenschulen, auch außerhalb des Missionsgeländes, sowie eine Mittelschule, ein Lehrerseminar und eine Haushaltungsschule. Man darf mit Fug und Recht sagen, Empandeni wurde das katholische Schulzentrum im Südwesten des Landes. Viel dazu beigetragen hat Pater Possenti Weggartner, der – wir wissen es schon – im Dezember 1976 ermordet wurde. Und die Mariannhiller Schwestern, die ab 1932 ununterbrochen vor allem auch im Dienste der Schulbildung standen. Unter den Rektoren der letzten Jahrzehnte waren es vor allem Pater Josef Ebert und Pater Francis Gröger, die Empandeni als missionarisches Zentrum mitprägen halfen. In den 60-er Jahren wurden mehrere künstliche Dämme zur Wasserversorgung gebaut – zum Teil mitfinanziert von Misereor. 1973 wurde die Missionsfarm auf Betreiben von Bischof Adolph Gregor Schmitt sowie des Missionsteams von Empandeni in ein „Tribal Trust Land" umgewandelt, das heißt, das riesige Areal an Buschland ging wieder an die Eingeborenen zurück. Die beiden Missionsstationen (Empandeni und Embakwe) behielten lediglich je 4.000 acres. Und genau dieser Restteil der einst von Lobengula gewährten Landmasse war es, worauf Bruder Kilian versuchte, Ackerbau und Viehzucht zu treiben.
Tüchtige und unerschrockene Männer des Ora et Labora
Empandeni wäre wohl nie geworden, was es wurde, wären da nicht – ähnlich wie in Mariannhill/Südafrika oder auf anderen missionarischen Zentren der Mariannhiller – die fleißigen und frommen Brüder gewesen, zum Beispiel Bruder Ägidius Franz Xaver Pfister.
Er stammte aus Rottweil, wo er 1876 das Licht der Welt erblickte, wollte Priester werden, musste aber wegen schwerer Erkrankung das Gymnasialstudium abbrechen. Er wurde stattdessen Gärtner, unter anderem auch im Ansbacher Hofgarten – und schloss sich später den Trappisten-Mönchen von Mariannhill an. Beim zweiten Versuch der Gründung von Triashill hat er Wesentliches geleistet.
Ohne ihn wären zahlreiche Schulen und Außenstationen in Manicaland nicht entstanden.
Tausende von Kilometern ging er zu Fuß, von Kral zu Kral, und lebte wie ein Wandermönch. Er beherrschte die Sprache der Eingeborenen wie kein zweiter, schrieb Schulbücher, verfasste eine Grammatik und sandte die ersten schwarzen Buben aus dem heutigen Simbabwe ins Kleine Seminar nach Mariannhill, nachdem er ihnen zuvor schon Lateinstunden erteilt hatte.
Wo immer Bruder Ägidius sich zeigte, war man von seiner Bescheidenheit angetan – und von seinem missionarischen Eifer. Er führte – auf ausdrücklichen Wunsch seines Vorgesetzten, des späteren Bischofs Adalbero Fleischer – ein minutiöses Tagebuch über seine pfadfinderischen Missionstouren. Man darf ihn als den Motor der Triashill-Mission bezeichnen.
Mit dem Wechsel der Mariannhiller von Manicaland nach Matabeleland – davon war schon weiter oben die Rede – brach auch für Bruder Ägidius eine schwere Zeit an. Er musste eine völlig neue Sprache lernen, bereits 54 Jahre alt, und auch die Mentalität der Amandebele studieren, ein kriegerischer Volksstamm im Vergleich zu den eher friedlichen Mashona.
Aber sein missionarischer Eifer zeigte sich auch in Empandeni. So reserviert die Afrikaner ihm auch zunächst begegneten – dem Wandermönch, der mit einer Decke und ein paar trockenen Broten oft tagelang unterwegs war –, nach ein paar Monaten hatte er es immerhin geschafft, die Häuptlinge der Tshitshi- und Mphoengs-Reservate für die Eröffnung von katholischen Schulen zu gewinnen. Weitere Schul-Orte waren Sontala und Bulu. Er probierte es zeitweise sogar im benachbarten Beschuanaland (heute: Botswana), aber ohne Erfolg; man verweigerte ihm die Aufenthaltsgenehmigung. Im Dezember 1932 sandte ihn Ignatius Arnoz, Apostolischer Präfekt von Bulawayo, nach Wankie (heute: Hwange), an die 400 Kilometer von Empandeni entfernt, um auch dort wegen einer künftigen Missionsstation zu recherchieren. Es war seine letzte Reise, von der er mit schwerer Malaria zurückkehrte. Schon wenige Tage später starb er im Alter von 56 Jahren.
Noch Jahrzehnte nach seinem Tod erkundigten sich die Afrikaner, wann immer neue Missionare, auch anderer christlicher Kirchen, auftauchten, ob sie von der „Kirche des Bruder Ägidius" seien? Wenn ja, könnten sie bleiben; wenn nein, dann wollten sie nichts mit ihnen zu tun haben!
70 Jahre sind seit seinem Tod vergangen, aber noch lebt er fort, dieser fromme und heiligmäßige Wandermönch, vor allem in den Herzen der Schwarzen.
Andere Brüder-Missionare folgten – fähige und fromme Männer auch sie. Alle aufzuzählen bzw. ihre Lebensdaten anzuführen, ist hier nicht möglich. Aber einige seien doch namentlich erwähnt: Bruder Mauritius Bürgler, Bruder Ceslaus Stach, Bruder Siegfried Scheipers, Bruder Athanasius Sattich und Bruder Korbinian Wurm. Männer, die das „Ora et labora" zu ihrem täglichen Motto gemacht hatten.
In dieser Reihe hervorragender Brüder-Missionare hat Bruder Kilian seine Arbeit gesehen; in ihrem Sinne hat er seine Aufgaben zu erfüllen versucht.
Wie schon in Fatima- und Regina Mundi-Mission, so kümmerte er sich auch in Empandeni (wörtlich: in der Wurzel) um das Vieh und die Äcker. Wie sehr er von seinen Mitbrüdern über sein berufliches Können hinaus geschätzt und respektiert wurde, zeigt unter anderem auch die Tatsache, dass sie ihn viermal in den Provinzrat wählten – von 1973 bis 1985.
Bei der schwarzen Bevölkerung galt er als hervorragender Farmer und „Viehdoktor". Seinen einheimischen Mitarbeitern ging er mit gutem Beispiel voran. Er verlangte nichts, was er nicht selbst zu tun bereit gewesen wäre. Mit viel Eifer und Hingabe versorgte er die große Internatsschule mit den Erträgen aus der Farmwirtschaft. Zweimal wöchentlich fuhr er den großen Lastwagen nach Plumtree, in die etwa 30 Kilometer entfernte Bezirksstadt, um Besorgungen und Einkäufe aller Art zu tätigen. Mitunter waren es bis zu 100 Aufträge, vorwiegend für die schwarze Bevölkerung von und bei Empandeni. Diese Fahrten waren zur Zeit des Bürgerkriegs sehr gefährlich. Aber Bruder Kilian schreckte vor nichts zurück, wenn es darum ging, anderen zu helfen. Diese Haltung erwuchs ihm aus seinem tiefen Glauben. Täglich war er einer der Ersten, der aufstand; er verrichtete sehr gewissenhaft seine Gebete, meditierte und nahm an der Eucharistiefeier teil. Beten und Arbeiten gingen bei ihm – nach alter benediktinischer und Mariannhiller Art – immer Hand in Hand. Seine diesbezüglichen Vorbilder waren Männer wie Bruder Ägidius Pfister und Bruder Nivard Streicher – bzw. seine unmittelbaren Vorgänger und Mitbrüder auf der Mission.
Diözesaner Wallfahrtsort zu Ehren der Gottesmutter
Seit der politischen Unabhängigkeit Rhodesiens im Jahr 1980 und der Übernahme der Regierung durch schwarze Politiker, angeführt von Robert Mugabe, heißt das Land Simbabwe. Der Bürgerkrieg flaute ab, stoppte vorübergehend ganz, flammte dann erneut auf, als sich vor allem ehemalige Soldaten (Dissidenten genannt) der zwei großen Volksstämme (Mashona und Amandebele) immer häufiger bekämpften. Geschürt wurden diese Unruhen zum Teil von Hintermännern, die, so die immer wiederkehrenden Gerüchte, Mugabe nahestanden. Es mögen aber auch zahlreiche freischaffende Banden gewesen sein, die in weiten Regionen, vor allem in Matabeleland, ihr Unwesen trieben. Die Ermordung des Mariannhiller Bruders Matthias Sutterlüty in Embakwe hing wohl damit zusammen. Dennoch hoffte jedermann im Lande auf Frieden und Versöhnung.
Als Bruder Kilian 1984 am Ende seines Heimaturlaubs von Freunden und Bekannten in Waischenfeld gefragt wurde, wann er wiederkomme, antwortete er vorsichtig: Gewiss komme er wieder, in fünf Jahren etwa, wenn er dann noch am Leben sei! Trotz der immer noch gefährlichen Situation in Simbabwe war er fest entschlossen, dort auszuharren und weiterhin seine Aufgaben wahrzunehmen – im Dienst der Mariannhiller wie der gesamten missionarischen Kirche.
Auch Erzbischof Dr. Heinrich Karlen von Bulawayo teilte die Meinung des Oberfranken, dass man, wenn seelisch dazu fähig, vor Ort bleiben und weiterwirken solle. Karlen war inzwischen sogar davon überzeugt, dass die schlimmsten Zeiten überstanden seien. Das war wohl auch mit ein Grund, warum er im August 1985 diözesanweit verkünden ließ, dass er Empandeni zum Wallfahrtsort „Unserer Lieben Frau vom Frieden" erklären wolle. Es sei sein glühender Wunsch, die Verehrung der Gottesmutter im Bistum zu fördern. Daher wolle man künftig in jedem Jahr an einem bestimmten Tag eine Wallfahrt abhalten. Empandeni, die älteste katholische Station des Landes, sei dafür besonders geeignet. Er hoffe und bete, dass diese Station somit zum Segen werde für viele und zu einem Ort der Liebe, des Friedens und der Versöhnung. Auf den Gedanken, im Erzbistum ein Marienheiligtum zu gründen, sei er bereits vor Jahren gekommen, besonders intensiv, als er am zweiten Juni 1978 von der heimtückischen Ermordung der beiden Mariannhiller Brüder Peter Edmund Geyermann und Andreas Georg von Arx erfahren habe. Damals habe er der Gottesmutter versprochen, wenn Empandeni, das ja nur zwölf Kilometer von Embakwe entfernt gelegen sei, die Kriegs-Unruhen unbeschadet überstehe, dann wolle er dort ein Marienheiligtum errichten und die jährlichen Wallfahrten nach dort unterstützen.
Die feierliche Segnung des Marienschreins von Empandeni erfolgte am sechsten Oktober 1985, am Vorabend des Rosenkranzfestes. Tausende von Gläubigen hatten sich eingefunden. Karlen in seiner Predigt: „Weil das Volk sich so sehr nach Frieden sehnt, wird die neue Pilgerstätte ‚Unsere Liebe Frau, Königin des Friedens' heißen – auf Sindebele: Umama uMariya Inkosikazi Yokuthula."
Bruder Kilian war bei dieser feierlichen Eröffnung der Marienwallfahrt anwesend. Seine Liebe zur Gottesmutter hatte er schon oft, wenn auch meist sehr diskret, bekannt. Bei seinen riskanten Wochenfahrten nach Plumtree war er wiederholt von der Polizei gewarnt worden, vor allem vor Landminen und den Überfällen der Banditen. Er ließ sich davon nicht beeinflussen: Was sein musste, was getan werden musste, wurde getan. Lächelnd pflegte er zu sagen: Ich hole Lebensmittel für Hungernde; ich will den Leuten helfen. Da wird mich die Gottesmutter schon beschützen!
Sie hat ihn beschützt. Über viele Jahre hinweg. Dessen war er sich immer bewusst. Es stand auch, wenngleich oft nur zwischen den Zeilen, in seinen Briefen an die Verwandten oder Mitbrüder in der Heimat. Zwei seiner Schreiben aus dem Jahr 1988 sind uns erhalten geblieben, beide an die Mariannhiller Missionare Pater Leo Poser (ebenfalls aus Oberfranken) und Bruder Martin Simora in Lohr am Main. Wir bringen aus diesen handgeschriebenen Briefen ein paar längere Auszüge.
Besorgt um Menschen und Tiere
In seinem Brief vom 18. Januar 1988 bedankt er sich zunächst für die Weihnachtsgrüße der Mitbrüder, kommt dann auf das winterliche Wetter in Deutschland zu sprechen und auf die Sorgen der deutschen Bauern, die in der Europäischen Gemeinschaft „auf eine harte Probe" gestellt werden; manche würden wohl nicht überleben. Dann fährt er fort: „Und in der Dritten Welt hungern die Leute. (Oft sind sie selber dran schuld; aber das darf man nicht laut sagen!) Hier ist es etwas besser. Im Dezember hatten wir guten Regen, etwa 210 Millimeter. Das Gras kommt gut hoch, nur mit dem Mais geht es nicht so gut. Erst hatten die Bauern kein starkes Vieh, um zu pflügen, und langsam wird es zu spät. Die mit der Haue (per Hand, mit der Hacke, d. Verf.) gepflanzt haben, haben mehr Mais im Feld stehen. So hängt die Ernte noch in der Luft, aber es gibt Gras fürs Vieh – und unser Vieh wird rund. Die Leute hier haben ja viel Vieh verloren, und doch kommen noch einige zu uns, um Vieh zu verkaufen, denn sie brauchen Geld für die Schulkinder. Heute habe ich wieder eine Kuh gekauft – für umgerechnet 300,- DM; sie war nicht gut im Fleisch. Letzteres ist ja knapp geworden, und vieles andere auch. Aber das ist wohl ein Wesenszug in einem sozialistischen Staat ... Ja, unser Simbabwe hat auch seine Probleme, nicht nur Germany. Es wäre schön, wenn Friede ins Land käme ..."
Dann lässt er alle im Aloysianum, dem Internat der Mariannhiller in Lohr, sowie die Landsleute in Heroldsberg grüßen und schließt mit den Worten: „Ja, wir werden älter ... Manchmal müssen wir halt einen kleineren Gang einschalten. Lasst's euch gut gehen – und im Gebet sind wir vereint. Alles Gute und Gott befohlen ..." (Empandeni, 18. 1. 88)
Der zweite Brief, ebenfalls handgeschrieben und im Original vorliegend, war am siebten April 1988 geschrieben worden, also nur zwölf Tage vor seinem Tod. Er ist wieder an Pater Leo Poser adressiert, im Innern auch an Bruder Martin. Darin schreibt er: Zu Ostergrüßen sei er wohl zu spät dran; daher wünsche er ihnen eine schöne Osterzeit, Gottes Segen und einen schönen Frühling. Er freue sich immer wieder, wenn er von Lohr Post bekomme. „Euer Winter hat sich ja lang hingehalten, aber wie es scheint, wird es doch etwas wärmer. Da haben wir keine Not. Es ist noch heiß. Gras gibt es soviel wie lange nicht mehr. Die Stauseen sind alle voll. Das Vieh frisst nur das Beste. Für den Garten war der viele Regen nicht das Gesündeste, aber das macht nichts, jetzt kann man wieder arbeiten. –
Unsere Oster(tage) waren ganz nett, alle Feiern (waren) vor der Grotte, da die Schule noch offen war und 480 Mädchen die Kirche allein schon füllen, nicht zu reden vom anderen Fußvolk. Am Karfreitag wurden wir fast geröstet – so über drei Stunden in der Sonne (gemeint ist wohl die liturgische Feier, die im Freien stattfand, d. Verf.). Seit etlichen Wochen haben wir einen schwarzen Kaplan, Pater Luke Mlilo, ein junger Mariannhiller; macht sich ganz gut. Soweit ist die (politische) Lage ziemlich ruhig, was sich aber schnell ändern kann ..."
Bruder Kilian schließt auch diesen Brief mit Grüßen an seine Lieben daheim und dem Vermerk: „Also älter werden wir, aber ich fühle mich jünger als ich alt bin. Im Gebet gedenken wir einander. Gott befohlen. Herzlichst grüßt Euch und alle in Lohr euer Br. Kilian." (Empandeni, 7. 4. 88. Beide Original-Briefe befinden sich jetzt, wie alle ähnlichen Dokumente, im Archiv der Mariannhiller in Rom; zur Einsichtnahme lagen sie dem Verf. vor.)
Zwölf Tage später kam es zum brutalen Überfall auf Empandeni. Vier Mariannhiller sollten ermordet werden; drei überlebten, nicht Bruder Kilian ...
Er gab sein Leben hin für andere.
Die mörderische Nacht der Banditen
Für Bruder Kilian war der 19. April 1988 ein Tag wie jeder andere auch. Er ging seinen gewohnten Arbeiten nach, beim Vieh und auf den Feldern. Und er mühte sich, wie so viele Mariannhiller Brüder vor ihm, das „Ora et Labora" auf einen Nenner zu bringen: Arbeit und Beten gehörten unzertrennlich zusammen in seinem Ordensleben.
Im Land jedoch herrschte Sonntags-Stimmung; es war der Tag der Unabhängigkeit! Präsident Robert Mugabe (der übrigens für kurze Zeit in Empandeni Lehrer war – noch unter Pater Possenti Weggartner!) hatte eine General-Amnestie für alle Dissidenten ausrufen lassen, sofern sie bereit wären, ihre Überfälle auf die Zivilbevölkerung einzustellen und ihre Waffen niederzulegen. Es schien, als ob damit endlich wieder Ruhe und Frieden einzögen in das arg gebeutelte Land am Sambesi. Doch für Empandeni kam alles anders – ganz anders! Denn was an diesem besagten 19. April geschah, war ein traumatisch-schreckliches Ereignis grausamster Art.
Mir liegen zahlreiche Original-Berichte vor; im Wesentlichen stimmen sie alle überein; im Detail gehen sie zwar zuweilen auseinander, aber häufiger sind es Ergänzungen statt Widersprüche. Ich versuche, anhand dieser Berichte, ein Gesamtbild des Geschehens zu erstellen, zusammengestückelt wie ein riesiges Mosaik. Wenngleich die einzelnen „Autoren" an Ort und Stelle zitiert werden, so möchte ich doch vorweg jene nennen, deren schriftliche oder mündliche Mitteilungen meine Recherchen am nachhaltigsten förderten: Ein zirka zweistündiges Gespräch mit Bruder Erasmus Schelle, ein detaillierter Bericht von Pater Calasanz Josef Hofmann, die vierseitige Vor-Ort-Berichterstattung von Schwester Philothea Willems, Rundbriefe von den Patres Francis X. Gröger, Thaddeus Stojecki und Johannes Banning; ein längeres Gespräch mit Pater Andrew Heier, die offizielle Mitteilung des Generalats der Mariannhiller in Rom – unterzeichnet von Generalvikar Pater Dietmar Seubert sowie eine KNA-Reportage von Franz Jussen, der zur Zeit des Geschehens ebenfalls in Simbabwe weilte.
Der 19. April 1988 war ein Dienstag. Abends, nach dem Essen, saßen die Missionare Pater Johannes Banning (Rektor der Station), Pater Luke Mlilo, der erste Afrikaner aus dem Stamm der Amandebele, der sich der Mariannhiller Gemeinschaft angeschlossen hatte und erst im Januar zum Priester geweiht worden war – sowie die beiden Brüder Erasmus Schelle und Kilian Knoerl vor dem Fernseher im Rekreationsraum (ein Gemeinschaftszimmer), um die neuesten Nachrichten zu sehen. Soeben war die Meldung wiederholt worden, dass Staatspräsident Robert Mugabe die Allgemeine Amnestie für alle Dissidenten ausgerufen habe – sofern sie willens wären, ihre Waffen abzugeben und die Bevölkerung nicht länger zu terrorisieren.
Es war ungefähr 19.30 Ortszeit. Da hörte man Lärm an der Hauspforte. Jemand schlug kräftig gegen die Tür und läutete die Glocke. Pater Banning meinte, es seien wohl wieder, wie schon so oft in den letzten Monaten, Leute, die im Überlandbus aus Bulawayo gekommen waren und keine Möglichkeit mehr hatten, nach Embakwe weiterzufahren. Zu Fuß trauten sie sich meistens nicht mehr zu solch später Stunde.
Der Busfahrer habe sich abermals geweigert, bis zur Nachbarstation durchzufahren. Diese Überlegung war wohl auch der Grund, warum Pater Banning gar nicht erst das Fenster des Gemeinschaftsraums im ersten Stock öffnete, um zu schauen, wer unten Radau schlage, sondern direkt hinunter ging und die Haustür öffnete. Vor ihm standen der Missionslehrer Wami – und ein Schwarzer in Tarnuniform, den Pater Banning sofort als Dissidenten ausmachte. Später entdeckte er weitere schwarze Gesichter: ein Dissident, ebenfalls in Tarnuniform, mit einer schweren Axt, zwei in Zivil. Neben Mr. Wami ein weiterer schwarzer und ein indischer Lehrer – alle vom Lehrerkollegium der Station. Wie sich später herausstellte, waren die vier Dissidenten zuerst bei den Lehrerwohnungen „vorbeigekommen" und hatten sich von ihnen den Weg zum Haus der Missionare zeigen lassen. Wahrscheinlich wollte man die „Leute von der Mission" vorschicken, falls die Haustüre nicht sofort geöffnet würde – eben um die Missionare zu täuschen.
Das Erste, was der Anführer der Dissidenten von Pater Banning wissen wollte: „Wo sind die anderen Missionare? Schaff sie sofort alle herbei!"
Als alle versammelt waren – neben Pater Banning auch Pater Mlilo und die beiden Brüder Erasmus und Kilian – mussten sie das Haus verlassen und wurden in den Hinterhof geführt; dort mussten sie sich an die Mauer setzen. Jetzt stellten sie fest, dass dort andere schon vor ihnen sich hatten niedersetzen müssen: mehrere Männer, Frauen und Kinder von den Lehrerwohnungen. Unter ihnen auch die Schulsekretärin.
Dann wurde Pater Mlilo gezwungen, den Dissidenten alle Räume des Hauses zu zeigen; sofort fingen zwei von ihnen an zu plündern und zu rauben, was ihnen wertvoll erschien: Uhren, Radios, Kleider, Geld usw. Die beiden anderen der Viererbande ließen sich später von Pater Mlilo zum Fuhrpark führen; dort inspizierten sie die Autos der Mission, wählten eines aus, das sie als Fluchtauto benützen wollten und stellten es vors Priesterhaus, damit sie es dort mit dem Raubgut beladen konnten. Es war ein japanischer Nissan, ein Geländewagen mit Vierradantrieb.
Während die einen noch die Zimmer durchwühlten und nach weiteren Wertgegenständen suchten, ließ sich der Anführer der Bande von den Missionaren einzeln in ihre Zimmer nach oben führen. Sie mussten alle Schränke öffnen. Pater Banning wurde gezwungen, die rund 6.000 Simbabwe-Dollar herauszugeben, die er im Safe für schwarze Bauern hinterlegt hatte, nachdem diese am Vortag ihre Maisernte verkauft, und so zu Geld gekommen waren. Bruder Erasmus mutmaßte später: Möglicherweise wussten die Dissidenten um dieses Geld, wie sie überhaupt den Anschein erweckten, als kennten sie sich gut aus – oder wüssten zumindest bestens Bescheid, was die ihnen wertvoll erscheinenden Gegenstände betraf.
Bei ihm, Bruder Erasmus, entwendeten sie schier alle Oberhemden und Hosen, sogar einen dicken Wintermantel. Bei Bruder Kilian, der die Jagdgewehre der Station verwaltete und diese gelegentlich auch zum Erschießen von Schlachtvieh benützte, ließen die Banditen neben den Schusswaffen auch alle Munition mitgehen. Ob sie auch davon schon im Voraus wussten? Immerhin pflegte Bruder Kilian bisweilen an Spätnachmittagen auf die Felder zu gehen, um dort mit Hilfe von Warnschüssen die Vögel zu vertreiben, die sich gerne über die reifenden Früchte hermachten.
Nach langem Hin und Her – für die vier Missionare äußerst nervenaufreibend – musste Pater Mlilo (die anderen saßen wieder vor der Hauswand im Innenhof) mit dem Bandenchef zum beladenen Wagen gehen, um ihn rückwärts etwas weiter wegzufahren. Das Ganze verlief immer im Befehlston; auch schon vorher bei der „Ausraubung" der einzelnen Zimmer. Der afrikanische Priester, der natürlich die Sprache der Dissidenten bestens verstand, tat so, als könne er gar kein Auto fahren. Er murkste mit den Gängen, ließ die Kupplung schnellen, kurzum stellte sich doof. Da herrschte ihn der Gangster an, vor Wut brüllend: „Du Mistkerl! Du tust nur so. Ich weiß ganz genau, dass du fahren kannst. Und mit diesem Wagen bist du auch schon gesehen worden!"
Aber Pater Mlilo ließ sich nicht einschüchtern; er „murkste" weiter. Bruder Erasmus: „Vielleicht war er wirklich aufgeregt und so nervös, dass ihm das Auto nicht gehorchte ..." – Jedenfalls hatte der Bandenführer genug des Herumprobierens; er ließ den indischen Lehrer, Mr. Abraham, den Nissan ein Stück wegfahren, wohl schon in Flucht-Richtung. Einer der Viererbande blieb beim Wagen; er musste zwischenzeitlich Wache schieben.
Es war mittlerweile viel Zeit verstrichen. Jetzt kommandierte der Anführer die vier Mariannhiller – drei Deutsche und ein Afrikaner – wieder ins geräumige Rekreationszimmer des großen Priesterhauses. Auch Lehrer Wami wurde dorthin beordert. Pater Mlilo wohl als letzter; er hatte zuvor noch die Autos der Mission – das „Fluchtauto" ausgenommen – mit Dieselöl überschütten müssen; die sollten später verbrannt werden.
Jetzt wurde Herrn Wami befohlen, Pater Banning zu fesseln; Pater Mlilo erhielt den Befehl, dasselbe mit den beiden Brüdern zu tun. Wie Pater Mlilo später berichtete und wie es auch von Bruder Erasmus beobachtet worden war, hatte der schwarze Mariannhiller bei Bruder Kilian das Ende des ihn fesselnden „Strickes" so geknotet und hingelegt, dass er es notfalls selber lösen könnte.
Während die drei Weißen also „dingfest" gemacht waren, erhielt Pater Mlilo vom Bandenchef den Befehl, diese sofort mittels einer von einem anderen Bandenmitglied hereingereichten Axt zu töten. Er weigerte sich energisch; auch Mr. Wami lehnte sofort ab. Beide sagten, sie könnten dies nicht tun und würden es niemals tun, egal, wie ihnen selber geschehe! Da packte der Anführer selber die Axt, holte aus und ließ dieselbe mit schwerer Wucht, von hinten her, auf die Schulter von Pater Banning niedersausen. Der sackte sofort zusammen, schrie vor Schmerzen, wollte sich wehren, aber dazu kam er erst gar nicht. Der Bandit schlug ein zweites Mal zu, diesmal direkt auf den Kopf des Mariannhillers. Pater Banning sank bewusstlos zu Boden.
Jetzt sollten die beiden anderen weißen Missionare drankommen – dann wahrscheinlich auch die beiden Afrikaner, Mlilo und Wami. Sehr leise flüsternd hatte Bruder Kilian zu seinem Mitbruder Erasmus gesagt – auf deutsch: „Jetzt sind wir dran. Jetzt schlägt unsere Stunde!" Im gleichen Moment hatte sich Bruder Kilian von seiner Fessel befreit, war aufgesprungen, erwischte den Bandenchef, als dieser erneut zuschlagen wollte und entriss ihm die Axt. Es muss alles in Sekundenschnelle vor sich gegangen sein. Es kam zum Zweikampf, wobei der Bandenchef verletzt wurde. Während Bruder Kilian noch mit ihm rang und wohl auch in der Lage gewesen wäre, ihn vor die Tür zu setzen, schoss einer der anderen Banditen von außen, von der Veranda her, durch die offene Tür und verwundete Bruder Kilian am Arm oder an der Schulter – oder an beiden Stellen. Er schrie kurz auf vor Schmerzen, hob den Arm, stolperte ein paar Mal. In diesem Augenblick schoss der Bandit erneut, diesmal mitten ins Herz des Bruders. Er war sofort tot.
Das dramatische Nachspiel des Überfalls
Was nun geschah, ist von Bruder Erasmus nur teilweise selbst gesehen und miterlebt worden. Aber er hat versucht, es zu rekonstruieren. Demzufolge verließen die beiden Banditen, der Anführer, ein baumlanger Kerl und der andere, der von außen geschossen hatte, halsüberkopf das Haus der Missionare. Sie rannten schnurstracks zum mit Diebesgut vollgepackten Auto, ließen die anderen Autos, die mit Öl übergossenen, anzünden und zwangen dann den indischen Lehrer, Herrn Abraham, zu fahren; die Richtung gaben sie selber an.
Lange war Bruder Erasmus wie gelähmt. Er sah nur die beiden Mitbrüder am Boden liegen. Pater Johannes Banning und Bruder Kilian Knoerl. Von Pater Luke Mlilo war nichts zu sehen. Wohin war er verschwunden? Hatten ihn vielleicht die Banditen mitgenommen? Nein. Er war den Tätern in einem unbeobachteten Moment entkommen, just zu dem Zeitpunkt, als der Bandenführer auf Pater Banning mit der Axt einschlug. Im Garten bzw. in einem Schuppen, der als Hühnerstall diente, hielt er sich versteckt – bis alles vorüber, bis die Banditen samt Auto und Herrn Abraham das Gelände der Mission verlassen hatten.
Immer noch horchte Bruder Erasmus nach allen Seiten; er war immer noch gefesselt. Schließlich gelang es ihm, die Stricke abzustreifen. Jetzt schlich er, gebückt und sehr vorsichtig, ohne Licht zu machen, teilweise auf den Knien rutschend, auf die Hausveranda des Innenhofs. Kein Laut war zu hören. So begab er sich wieder ins Zimmer, wo die beiden Mitbrüder am Boden lagen, selber immer noch unter Schock. Er machte kein Licht; wusste zunächst überhaupt nicht, was er nun tun sollte. So mögen Minuten vergangen sein. Oder auch eine Viertel- bzw. Halbestunde. Dann spähte er durch das Oberlicht auf den Hinterhof – und sah jetzt die brennenden Autos. Als er zum Zimmer, wo das schreckliche Drama stattgefunden hatte, zurückkehrte, fand er die Tür geschlossen. Es brannte Licht! Was war passiert? Waren die Banditen zurückgekehrt? Oder sonst jemand? Wieder überfiel ihn schreckliche Angst. Doch dann fasste er Mut und ging leise die Treppe hinunter, überquerte den Hof und schlich sich ganz langsam und möglichst leise zum Konvent der Ordensschwestern. Die hatten sich, wie sich jetzt herausstellte, verschanzt, alle Lichter gelöscht – und blieben so schweigend und betend und harrend vereint. Bruder Erasmus rief, klopfte – erst leise, dann etwas lauter; er nannte seinen Namen. Jetzt wurde ihm geöffnet. Die Nonnen überließen ihm ein Zimmer, damit er sich beruhige. Doch dazu war er noch lange nicht in der Lage. „Habt ihr die Polizei benachrichtigt?" fragte er. Nein, sie hatten es nicht getan, aus lauter Angst, von den Banditen entdeckt zu werden. So informierte Bruder Erasmus die Beamten in Plumtree: Sie seien überfallen, und zwei Missionare seien ermordet worden; sie möchten sofort kommen!
Etwas später klopfte es erneut an der Tür des Schwesternkonvents. Bruder Erasmus fragte durch die verschlossene Tür, wer draußen sei. Da meldete sich Pater Banning. Blutüberströmt, noch arg benommen, aber bei Bewusstsein. Die Schwestern wuschen ihn, legten Verbände an und verabreichten Schmerztabletten. Bruder Erasmus rief erneut die Polizei in Plumtree an: Man möge sich beeilen und einen Arzt mitbringen; einer der für tot geglaubten Missionare lebe noch – schwerstens verwundet!
Es dauerte lange, bis Polizei und ärztliche Hilfe eintrafen, fast eine Stunde. Inzwischen hatten die Schwestern, Bruder Erasmus und Herr Wami auch Bischof Karlen und Provinzial Pater Benno Hotz in Bulawayo telefonisch informiert.
Pater Banning konnte kaum sprechen, aber aus den Augenzeugenberichten von Bruder Erasmus, Pater Mlilo und Herrn Wami konnte man sich allmählich ein Gesamtbild machen. Zum Beispiel, dass der Bandenchef mit dem stumpfen Teil der Axt auf Pater Banning eingeschlagen – und zuvor dem afrikanischen Lehrer zugerufen hatte: „Was, du willst diese Weißen nicht erschlagen? Schau mal, ich zeig dir, wie man´s macht!" Geklärt wurde jetzt auch, wer das Licht im Rekreationsraum angeschaltet hatte – nach dem Abzug der Banditen: Es war Pater Banning, der zwischenzeitlich, und nur für kurze Zeit, wieder zu sich gekommen war – und dann sich zum Schwesternkonvent begeben hatte.
Wie ging es weiter? – Nun, die Polizei nahm sofort die Spurensuche auf, erreichte aber in der Nacht nichts mehr. Anderntags fanden sie mit Hilfe von Spürhunden, die man mit dem Blut des verwundeten Bandenführers in Berührung gebracht hatte, den Fluchtwagen: völlig ausgebrannt. Herr Abraham, den die Banditen gezwungen hatten, das Fahrzeug zu steuern, berichtete weiter, sie seien etwa 20 Kilometer gefahren – Richtung Brunapeg-Mission; dann musste er den Wagen in Brand stecken, nachdem die Flüchtenden einen Teil des Beutegutes an sich gerissen hatten. Später fanden die Polizisten zahlreiche Gegenstände, die auf dem weiteren Fußmarsch von ihnen weggeworfen worden waren. Auch hatten die Beamten weitere Blutspuren des angeschossenen Bandenchefs ausfindig machen können. Dabei sollen – laut eines Berichtes von Pater Andrew Heier – zwei schwarze Polizisten in einen Hinterhalt gelockt und von den Räubern erschossen worden sein. Pater Heier erwähnte auch die Mutmaßung einiger Afrikaner, die – im Nachhinein – meinten, es könne sich bei den Empandeni-Banditen auch um ehemalige Regierungssoldaten gehandelt haben, die nun freischaffend, plündernd und sengend durch die Lande zögen.
Aber zurück nach Empandeni, zum Schauplatz des schrecklichen Massakers: Der Krankenwagen aus Plumtree traf ein; der Notarzt stellte bei Bruder Kilian fest, dass er wohl auf der Stelle tot war, Pater Banning hatte überlebt – mit sehr schweren Verletzungen am Kopf, an der Schulter und im Nacken. Die beiden Ordensschwestern Helen und Martina-Anna, von der Gemeinschaft der Mariannhiller Missionarinnen vom Kostbaren Blut, begleiteten den Krankenwagen bis Plumtree. Hier sollte der Schwerverletzte vorerst klinisch betreut werden. Doch da schaltete sich Pater Thaddeus Stojecki ein. Er rief noch in der Nacht den Chefarzt von Plumtree in dessen Privatwohnung an und bat ihn, dafür zu sorgen, dass der Schwerverletzte unverzüglich nach Bulawayo – ins dortige Zentralkrankenhaus – überführt werde. Der Arzt weigerte sich; dafür sei am Tag noch Zeit. Doch Pater Stojecki ließ nicht locker, ja er probierte es gar mit einem Trick. Auf Englisch hörte sich das so an: This is the Ambassador of West Germany. I demand that the German missionary (Father Banning) has to be brought to Bulawayo this very night! If you don't cooperate I will inform your Government immediately! (Er sei der deutsche Botschafter, und er fordere den Transport des deutschen Missionars nach Bulawayo noch in dieser Nacht. Wenn er dem nicht entspräche, würde er sofort die Landesregierung in Harare informieren!)
Das half offensichtlich. Pater Banning wurde ins Zentralkrankenhaus nach Bulawayo gebracht und sofort operiert. Schädelfraktur, mehrere tiefe Wunden, aber offensichtlich keine Gehirnverletzungen. Die schnelle klinische Behandlung hat ihn wahrscheinlich vor schweren Dauerschäden bewahrt. Pater Banning erholte sich allmählich; an den Vorfall in Empandeni konnte er sich zwar erinnern, nicht aber an Einzelheiten; die waren ihm teilweise abhanden gekommen. Wochen- und monatelang wirkte er blass, sah lange Zeit nur verschwommene Bilder und verfiel zeitweise in Depressionen. Nach einer längeren ärztlichen Nach-Behandlung in Deutschland kehrte sein früherer Elan zurück – und schon ein halbes Jahr später konnte er wieder seine missionarischen Arbeiten in Simbabwe aufnehmen. Für mehrere Jahre. Dann kam er bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben. Jetzt trauerten Tausende von Schwarzen um ihren Missionar. Der aus Heidenheim an der Brenz stammende Mariannhiller war 1977 zum Priester geweiht worden, nachdem er schon zuvor, als Theologiestudent, ein paar Jahre in der Afrika-Mission verbracht hatte. Später – nach der Ordination – wirkte er in Embakwe, Empandeni und St. Pius-Bulawayo.
Nochmals zurück zur Nacht des Verbrechens: Während der Ambulanzwagen Pater Banning nach Bulawayo transportierte, waren Pater Benno Hotz und Pater Alfons Schöpf schon auf dem Weg nach Empandeni. Sie stoppten den Krankenwagen und erfuhren so, dass für Bruder Kilian keine Hoffnung mehr bestanden habe; umso mehr jedoch nun für Pater Banning. Daher kehrten die beiden Mariannhiller um und begleiteten jetzt den Verletzten bis ins Krankenhaus, wo sie gegen vier Uhr morgens ankamen. Anderntags – es war Mittwoch, der 20. April – fuhren Bischof Karlen, Pater Hotz, Pater Stojecki sowie drei Mariannhiller Schwestern nach Empandeni, um den Zurückgebliebenen mit Rat und Tat beizustehen. Jetzt erfuhren sie auch, dass Pater Mlilo wohlbehalten sei; von ihm hatten sie die ganze Nacht über kein Lebenszeichen bekommen. Bruder Kilian lag immer noch, blutüberströmt, mit einem weißen Tuch bedeckt, im Rekreationszimmer des Priesterhauses. Er wurde später per Polizeilaster nach Bulawayo transportiert – zur weiteren Untersuchung.
Für die kommenden Tage waren Pater Mlilo und Bruder Erasmus – zusammen mit den Schwestern – alleingelassen. Später bat Bischof Karlen einen Steyler Pater, der in Embakwe stationiert war, vorübergehend nach Empandeni. Auch als Hilfe für die arg mitgenommenen Mariannhiller, die den Überfall halbwegs glimpflich überlebt hatten, aber, verständlicherweise, psychisch immer noch darunter litten.
Die Leute von Empandeni, so hat es mir Bruder Erasmus in einem langen Gespräch erzählt, zeigten in den kommenden Tagen großes Mitleid und ehrliche Sorge: „Sie brachten uns haufenweise Nahrungsmittel – Eier, Hühner, Maiskolben, Wassermelonen, Früchte usw. – einfach alles, was sie zuhause hatten. Um uns zu zeigen, wie sehr sie selber darunter litten; wie sehr es ihnen nahe gegangen war: die Ermordung von Bruder Kilian und die schwere Verletzung von Pater Banning – sowie die Plünderung der Station und das Vernichten der Missionsautos..."
Abschiednehmen von Bruder Kilian in der Kathedrale von Bulawayo
Am Dienstag, den 26. April – genau eine Woche nach seiner Ermordung – wurde Bruder Kilian Knoerl unter großer Beteiligung der Christen von Empandeni und der Stadt Bulawayo zur letzten Ruhe getragen – auf dem Städtischen Friedhof, gleich neben den schon vor ihm ermordeten neun anderen Missionaren des Erzbistums. Zusammen mit Bischof Dr. Heinrich Karlen, Erzbischof Patrick Chakaipa aus Salisbury/Harare, Generalrat Martin Schupp, der aus Rom eingeflogen war und etwa 40 weiteren Priestern wurde die feierliche Auferstehungsmesse in der St. Mary´s Kathedrale abgehalten. Sie war brechend voll – so voll wie seit vielen Jahren nicht mehr. Auch Vertreter anderer christlicher Gemeinden (Anglikaner, Methodisten usw.) hatten sich eingefunden. Unter den namhaften Politikern waren die Gouverneure von Nord- und Süd-Matabeleland: Jakob Mudenda und Mark Dube. Hans Werner Bussmann vertrat die Bundesregierung Deutschland. Prälat Baldisseri war anstelle des Pronuntius gekommen. Die Atmosphäre in der Kathedrale war, auch wegen des reichen Blumenschmucks vor dem Sarg des Ermordeten, eine eher hoffnungsvolle, eine mehr auf Auferstehung denn auf Tod hin gewandte.
Bischof Karlen zitierte zur Einleitung des Gottesdienstes die Trauerklage der Karfreitagsliturgie: „Mein Volk, mein Volk, was tat ich dir? Betrübt´ ich dich? Antworte mir!" Dann fuhr er fort: Antwort werde hier keiner geben können. Aber wir alle stünden doch in der Hoffnung.
Generalvikar Pius Ncube (heute Nachfolger Karlens und selber Erzbischof von Bulawayo) predigte auf Sindebele; er beschrieb Bruder Kilian als einen begabten Landwirt und einen furchtlosen Menschen. Während des Bürgerkriegs habe er sich zahlreichen Gefahren ausgesetzt, um den Menschen zu helfen. Die Missionsfarm habe er mit großer Hingabe und schier übermenschlichem Eifer betrieben. Und nun sein Leben hingegeben, um Mitbrüder zu retten. Ihm verdankten sie buchstäblich, dass sie überlebten. Sein unerschrockenes Eingreifen setzte dem offensichtlich viel schlimmer und viel umfangreicher geplanten Massaker ein rapides Ende.
Die Aussegnung Bruder Kilians in der Kathedrale nahm Pater Martin Schupp nach der Messe vor. Eine lange Reihe von Autos und Omnibussen begleiteten den Sarg bis zum Friedhof; hier leitete Provinzial Pater Benno Hotz die Begräbniszeremonie. Eine große Schar von Christen aus Empandeni umstanden das Grab; einige von ihnen durften die ersten Schaufeln Erde hinabwerfen, während andere sangen und beteten. Schwester Helen, die Oberin des Empandeni-Konvents, durfte die Kränze und Blumen auslegen.
Nachrufe – Würdigung eines modernen Märtyrers
Schon Tage vor der Beerdigung hatte der Jesuitenpater Oskar Wermter, der Sprecher der Katholischen Bischofskonferenz von Simbabwe, erklärt: „Es ist tragisch und himmelschreiend, dass dieser brutale Mord (an Bruder Kilian, d. Verf.) genau an dem Tag passierte, als Präsident Robert Mugabe die Amnestie für alle Dissidenten erlassen hatte, sofern sie sich ergäben und ihre Waffen niederlegten – der Einheit und des Friedens willen. Die scheußlichen Vorfälle von Empandeni werden unsere Haltung nicht ändern."
Die Missionare – so war allenthalben in Simbabwe zu hören – würden auch in Zukunft auf der Seite derer stehen, die sich um die Einheit und die Versöhnung mühten. Die Ermordung Bruder Kilians, so schrecklich sie auch sei, könne sie nicht daran hindern, die Froh- und Friedensbotschaft auch in Zukunft zu künden.
Unter den zahlreichen Beileidsschreiben, die nach dem Bekanntwerden der Ermordung Bruder Kilians bei den Mariannhiller Missionaren in Simbabwe und Deutschland eintrafen, befanden sich auch Briefe von Staatspräsident Mugabe und seinem Stellvertreter Joshua Nkomo; beide wünschten Pater Banning schnelle und vollkommene Genesung.
Pater Pius Ncube bat mich, ein sehr persönlich gehaltenes Abschiedswort im Missions-Magazin „mariannhill" (mmm) zu veröffentlichen. Im Begleitbrief schrieb er, die Ermordung des Mitbruders habe ihn sehr bewegt. So seien auch seine Verse auf den Ermordeten entstanden:
„Während du zu Grabe getragen wirst, Bruder Kilian,
erweisen dir dreitausend Menschen die letzte Ehre.
Viele weinen, wenn sie sich deiner Ermordung erinnern.
Du bist ein Held – für Bischof, Gouverneur, Botschafter oder einfaches Volk – für Katholiken, Protestanten oder Heiden –
dein Tod eint sie alle.
Du warst äußerst tapfer und entschlossen,
du hast eingegriffen, um Leben zu retten.
Du lebst fort als strahlender Stern,
denn du hast gebetet, hart gearbeitet
und immer dich um andere gesorgt.
Schon frühmorgens, lange vor der Messe,
hast du zu Gott gebetet – oft eine Stunde lang.
Und nach getaner Arbeit bist du wieder zur Kirche geeilt
und hast abermals gebetet – eine halbe Stunde und länger.
Keinen Tag hast du dies unterlassen.
Du hast geschuftet wie ein Pferd.
Während der Dürrejahre hast du Tausenden
das Leben gerettet – indem du Mais gemahlen hast,
für die Hungernden mit dem Laster unterwegs warst
und geschwitzt hast für andere.
Du hattest Bärenkräfte, warst unermüdlich – und immer gut gelaunt!
Bitte, leg Fürsprache ein für uns vor Gottes Thron!
Möge dein Opfer Frieden bringen für Simbabwe.
Möge dein Blut fruchtbar werden für den Baum der Einheit.
Möge es zum Samen werden für mehr Christen und für weitere Berufe!"
(P. A. Ncube, Bulawayo, April 1988. Das Original wurde in englischer Sprache verfasst; ich habe frei, aber sinngemäß ins Deutsche übertragen.)
Ähnlich äußerte sich Paul Ndeleni, Lehrer in Empandeni. Er verwies vor allem auf die große Hilfsbereitschaft Bruder Kilians, wenn es darum ging, die landwirtschaftlichen Methoden der afrikanischen Farmer zu verbessern oder für die Menschen im Hinterland in Plumtree lebenswichtige Artikel einzukaufen und auf die Station zu transportieren. Dass ein Mann des Friedens mit einem AK 47-Maschinengewehr sterben müsse, begreife niemand, der den Mariannhiller Bruder gekannt habe.
Die Deutsche Welle, Anstalt des Öffentlichen Rechts in Köln, brachte ihre Anteilnahme am Tod des Mariannhillers so zum Ausdruck: „Mit großer Bestürzung haben wir von der Ermordung Kilian Knoerls gelesen. Er war lange Jahre ein treuer Hörer unseres Programmes. Durch einen persönlichen Besuch hier im Kölner Funkhaus und durch eine umfangreiche Korrespondenz bestand ein freundschaftlicher Kontakt. Wir möchten Ihnen – und auch Schwester Ulrike – auf diesem Weg unsere aufrichtige Anteilnahme aussprechen." (Dieter Wünsch, Köln, 21. 4. 88)
In einem Rundschreiben des Generalrates der Mariannhiller Missionare, unterzeichnet von Pater Dietmar Seubert, heißt es: Wir dürfen annehmen, dass Bruder Kilian durch sein entschlossenes Handeln den beiden Mitbrüdern Pater Johannes und Bruder Erasmus das Leben gerettet hat; denn die Banditen verließen anschließend sofort mit dem Nissan-Patrol die Station ... – In unserem ermordeten Bruder Kilian betrauern wir einen stets freundlichen Mitbruder, einen gewissenhaften Ordensmann und einen tüchtigen Farmer." (Rom, 22. 4. 88)
Pater Hildemar Warning, Provinzial der Mariannhiller in Deutschland, sagte während des Requiems, das im Piusseminar in Würzburg am 25. April für Bruder Kilian gehalten wurde: „Er hatte ein Herz für die Schwarzen. Wer ihn näher kannte, schätzte ihn."
Als Pater Peter Grand, Umtata/Transkei, von der Ermordung Bruder Kilians erfuhr, schrieb er an Pater Luke Mlilo, er sei stolz auf ihn – vor allem über seine standhafte und mutige Haltung in dem Augenblick, als die Banditen von ihm forderten, er solle die weißen Missionare mittels einer Axt erschlagen. Diese seine beispielhafte Art (sowie die von Herrn Wami) habe ihm ein wenig geholfen, über den Tod (Bruder Kilians) und die Verletzung Pater Bannings leichter hinwegzukommen. (Umtata, 13. 5. 88)
Pater Waldemar Regele würdigte Bruder Kilian während eines Gedenkgottesdienstes in der Pfarrkirche von Sankt Johannes in Waischenfeld – übrigens am Tag des Begräbnisses, am 26. April 1988. Dabei stellte er die rhetorische Frage: „Ist dies der Dank für 28 Jahre Missionstätigkeit?" – Nein, so dürfe man nicht fragen. Die große Mehrzahl der Afrikaner seien friedvolle Leute, und sie hätten großen Respekt vor den Missionaren und ihren Bemühungen. Bruder Kilian, diesen „fleißigen und humorvollen Menschen" habe man gern haben müssen. Sein Charme und seine Geradlinigkeit machten ihn allenthalben so populär, aber auch sein Fleiß und seine klare Haltung als Ordensmann.
Bischof Karlen äußerte sich ähnlich. Auch er konnte es kaum glauben, dass mit Bruder Kilian schon der zehnte Mord am Missionspersonal verübt worden sei – an Männern und Frauen, die – angefangen bei Bischof Schmitt – nichts anderes getan hätten, als für die Menschen da zu sein und ihnen zu helfen, wo immer es nötig und möglich war.
Was in einigen Berichten und Reportagen unerwähnt blieb: Pater Mlilo hatte es nicht nur geschafft, die Mordszene klammheimlich zu verlassen; er konnte auch die Ordensschwestern im Konvent vorwarnen – sich ganz ruhig zu verhalten und kein Licht brennen zu lassen – ehe er, wie schon erwähnt, im Hühnerstall für sich selber ein Versteck suchte.
(Entnommen dem Buch von Pater Adalbert Balling CMM "Keine Götter, die Brot essen")